Interview mit der Inklusionsbeauftragten

Seit Mitte Oktober ist Korena Knuth, die neue ehrenamtliche Inklusionsbeauftragte der Gemeinde Much, 100 Tage im Amt. In einem Gespräch mit Katja Ruiters, Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Jugend und Soziales, berichtet sie über ihre ersten Erfahrungen.

Frau Knuth, bitte stellen Sie sich für die Leserinnen und Leser, die Sie nicht kennen, noch einmal kurz vor.
Korena Knuth: Ich bin Korena Knuth, 38 Jahre alt, verheiratet und Mucher Bürgerin. Ich bin Diplom Sozialpädagogin und seit Juli 2017 die neue Inklusionsbeauftrage der Gemeinde Much.

Sie sitzen selber im Rollstuhl. Möchten Sie kurz dazu was sagen und hat das für ihre Arbeit als Inklusionsbeauftragte Relevanz?
Korena Knuth: Ich bin seit inzwischen 15 Jahren dauerhaft auf die Nutzung des Rollstuhls angewiesen, bin aber mit meiner Muskelerkrankung geboren, weshalb sie auch seither Einfluss auf mein ganzes Leben hat. Relevant für meine Arbeit als Inklusionsbeauftragte ist es auch. Ich bilde mir schon ein, dass ich Menschen mit Behinderungen besser verstehen und ihre Sorgen und individuellen Bedürfnisse besser nachvollziehen kann. Anders herum bin ich aber auch davon überzeugt, dass sich Menschen mit Behinderungen lieber einem Betroffenen gegenüber öffnen, als jemandem, der mit dem Thema nur peripher zu tun hat.

Beschreiben Sie doch mal, was Sie so machen als Inklusionsbeauftrage. Was sind die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit?
Korena Knuth: Naja, ausgehend davon, dass soziale Inklusion dann verwirklicht ist, wenn jeder Mensch in seiner Individualität und mit seinen besonderen Bedürfnissen von der Gesellschaft akzeptiert ist und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben, kann ich eigentlich keinen Schwerpunkt haben. Denn Inklusion und das Recht zur Teilhabe umfasst wirklich alle Lebensphasen und bezieht sich auf alle Lebensbereiche, in denen sich alle barrierefrei bewegen können sollen.
Wenn wir über Schwerpunkte reden, dann ist allerdings sicherlich an ganz vorderster Front die Mobilität zu nennen, denn was nützt es, wenn man in Much City beispielsweise alle Geschäfte barrierefrei betreten könnte, aber man diese hier auf dem Land von seiner Wohnung aus 8 oder 10 km Entfernung mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nicht erreichen kann. Auch zu nennen ist die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit von Gebäuden, denn umgekehrt ist es genauso unnütz, wenn zwar Bus & Bahn problemlos und barrierefrei von Allen genutzt werden können, man aber dann in Much vor jedem Geschäft vor einer oder gar mehr Stufen steht. Oder ein tolles, barrierefrei erreichbares Restaurant ist auch nur noch halb so toll, wenn ich den ganzen Abend an einem Glas Wasser nuckeln muss, weil es über keine Behindertentoilette verfügt oder nur über eine, die ungeeignet ist, weil sich beim Bau nicht an die festgeschriebenen DIN-Vorschriften gehalten wurde. Mobilität also und barrierefreie Zugänglichkeit von Gebäuden sind für mobilitätseingeschränkte Menschen sicherlich von enormer Wichtig- und Gewichtigkeit und gehören damit zu meinen Schwerpunkten.
Aber wir sprechen nicht nur über mobilitätseingeschränkte Menschen, sondern auch über Menschen mit Sinneseinschränkungen. Diese Menschen haben weniger Probleme mit Bordsteinen, Treppen oder schweren mechanischen Türen, sondern mit der Orientierung, wenn ihr Sehfeld eingeschränkt oder gar nicht funktionsfähig ist und mit der Kommunikation, wenn sie hörbehindert sind. Diese Menschen brauchen andere Hilfsmittel im alltäglichen Leben, welche, die ihnen die Orientierung erleichtern, beispielsweise mit Bodenidikatoren & Leitsystemen und kontrastreicher Gestaltung ihrer Umgebung und öffentlicher Gebäude, deutlich sichtbare Hinweisschilder, Blindenschrift im öffentlichen Raum.
Eine große Gruppe Menschen, die man im Zusammenhang mit der Inklusion allzu häufig vergisst sind die Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese Menschen tragen ihre Behinderung nicht vor sich her, wie z.B. ein Rollstuhlfahrer. Man erkennt nicht auf den ersten Blick, wenn ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, eine Angststörung beispielsweise oder eine Phobie. Für sie fehlt es oft einfach nur am Verständnis ihres Gegenübers.
Menschen mit Lernbehinderung oder geistig behinderte Menschen sind beispielsweise auf leichte Sprache angewiesen, um gewisse Dinge lesend zu verstehen, um ihren Alltag zu bestehen. Und sie sind, wie ich finde, in besonderem Maße auf Toleranz, Geduld und Verständnis angewiesen.
Wie Sie sehen, es gibt so viele verschiedene Formen der Einschränkung, weswegen jeder Mensch sauf andere Barrieren stößt und andere Hilfen im Alltag benötigt, um teilhaben zu können. Da möchte ich mich ungern auf einen Schwerpunkt festlegen, schließlich möchte ich versuchen, allen Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden, alle einzubeziehen und an alle zu denken. Das ist die meiste Zeit wirklich nicht einfach, denn auch mir fällt es durchaus schwer, mir vorzustellen, wie es sich anfühlt, blind zu sein oder zum Beispiel eine Angststörung zu haben.
Nun habe ich ihnen noch nicht die Frage beantwortet, was meine Aufgaben sind. Nun, vor allem bin ich Ansprechpartnerin für alle Mucher BürgerInnen, die in irgendeiner Form eingeschränkt oder behindert sind und diesbezüglich Informationen oder Ratschläge benötigen. Als beratendes Mitglied im Gemeinderat besuche ich die Ratssitzungen und die Ausschüsse, um dort die Interessen meiner Klientel zu vertreten. Wenn irgendwo in Much ein neues, der Öffentlichkeit zugängliches Gebäude gebaut werden soll oder Umbauten an einem bestehenden öffentlichen Gebäude vorgenommen werden, oder wenn neue Straßen, Wege oder Haltestellen gebaut werden, ist es meine Aufgabe, mit drauf zu achten, dass bei der Planung die zum Teil schon sehr konkret gesetzlich festgeschriebenen Bestimmungen der Barrierefreiheit beachtet werden, sprich ob das Gebäude barrierefrei zugänglich ist zum Beispiel. Ansonsten muss ich mich auf dem Laufenden halten zum Thema Barrierefreiheit, Inklusion etc., mich vernetzen mit Behindertenverbänden und anderen Inklusionsbeauftragten. Ende November findet beispielsweise in Köln eine Veranstaltung zum Thema „Die Bedeutung der kommunalen Behindertenbeauftragten für die politische Interessenvertretung behinderter Menschen“ statt, die von den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (KSL) in NRW organisiert wird. Ich denke, das könnte eine interessante und ergiebige Veranstaltung werden und ich bin schon sehr gespannt darauf.

In welchen Angelegenheit können sich Bürgerinnen und Bürger direkt an Sie wenden?
Korena Knuth: In erster Linie bin ich natürlich gerne Ansprechpartnerin für Menschen jeden Alters mit Behinderungen jeglicher Art. Wenn es um Anträge geht, beispielsweise um Pflege oder den Schwerbehindertenausweis. Wenn jemand Tipps benötigt für Hilfsmittel, die den Alltag daheim erleichtern. Oder wenn jemand einfach nur mal ein offenes Ohr braucht. Man erreicht mich gerne unter der E-Mail Adresse Inklusionsbeauftragte@much.de oder unter der Telefonnummer in Much 610421.

Gibt es ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Korena Knuth: Nicht direkt. Aber es gibt da aktuell etwas, bei dem ich mich sehr freuen würde, wenn das umgesetzt werden könnte. Es gibt nämlich die Idee, einen barrierefreien, integrativen Kinderspielplatz in Much zu bauen. Das finde ich eine tolle Idee, denn Inklusion muss bereits im frühen Kindesalter anfangen, finde ich. Deshalb ist auch die Inklusion in Kindergärten und Schulen so wichtig. Wer bereits in jungen Jahren Erfahrungen macht mit Menschen mit anderen oder besonderen Bedürfnissen, dem fällt  es auch später im Teenager- oder Erwachsenenalter nicht sehr schwer, Menschen mit Behinderungen als Teil der Gesellschaft und sogar Teil ihres eigenen Lebens zu akzeptieren oder ihnen ohne Berührungsängste zu begegnen.
Fast nirgends können Kinder sich besser anfreunden, als beim Spielen. Dort kann in entspannter Atmosphäre zwanglose Annäherung und Kommunikation zwischen Kindern mit und ohne Behinderung stattfinden, Berührungsängste können abgebaut werden. Und somit können sich auf einem solchen Kinderspielplatz zarte Bande knüpfen zwischen Kindern mit und ohne Behinderung, die sich bestenfalls zu Freundschaften entwickeln. Ich finde die Idee und die Pläne zu diesem Kinderspielplatz deshalb wunderbar.


Was wünschen Sie sich von den Mucherinnen und Muchern?
Korena Knuth: Nun ja, man stößt zum einen halt immer wieder auf Barrieren in den Köpfen der Gesellschaft. Das hat sicherlich unterschiedliche Gründe und ich unterstelle den Menschen damit nicht Mutwilligkeit oder Absicht. Sondern vielen fehlt es an Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderungen oder sie haben Berührungsängste, die meistens unbegründet sind oder sie sind den Umgang einfach nicht gewohnt oder hüpfen gesund und munter durch ihr Leben und wollen sich mit dem Thema einfach nicht befassen. Vieles davon kann man ändern. Das geht aber nur, wenn die Menschen mit Behinderungen mit umfangreichen Möglichkeiten der Teilhabe ausgestattet sind.
Und darum ist es auf der anderen Seite von großer Wichtigkeit, und das wünsche ich mir wirklich sehr, dass die, die unsere Gemeinde weiterentwickeln und gestalten, vom Politiker über die Verwaltung bis hin zum Architekten und Ingenieur, die für die Entstehung neuer Gebäude, Wohnungen, Straßen, Fußwege, Spielplätze, Bildungseinrichtungen, Bushaltestellen, den ÖPNV verantwortlich sind, im breiten öffentlichen Raum die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe schaffen, die es braucht, damit Menschen mit Behinderungen sich auch im gesamten öffentlichen Raum frei bewegen können, ohne ständig auf Barrieren zu stoßen und um Hilfe fragen zu müssen. Das Thema der Barrierefreiheit muss in den Köpfen der Gestalter einer Stadt oder Gemeinde so verinnerlicht sein, wie der Brandschutz beispielsweise, dessen Bestimmungen immer eingehalten und stets verbessert und weiterentwickelt werden müssen.


Liebe Frau Knuth, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen für ihre wichtige und anspruchsvolle Aufgabe viel Kraft und Erfolg.